Es ist ein Irrtum zu glauben, dass sich die Dinge so entwickeln werden, wie wir es uns wünschen.
S. Vinokur: Wenn Sie etwas völlig Neues aufzubauen könnten, aber an einem gescheiterten Standort, wo Produktion, Wirtschaft und staatliche Verwaltung zusammengebrochen sind, wo würden Sie anfangen?
M. Laitman: In einem einzigen Land?
S. Vinokur: In einem einzigen Land, ja.
M. Laitman: Ich würde damit beginnen, sie zu bitten, mir einige hundert Jahre zu geben, um die Menschen zu entwickeln. Wie soll man sonst bauen? Mit wem kann man sonst noch etwas neues aufbauen?
Da kann man nichts machen. Warum schlagen nicht alle Wurzeln? Warum sterben alle Systeme aus? Sie sehen alle prima aus, aber in der Praxis sehen wir das Gegenteil. Weil die Menschen es nicht verstehen, sie sind wie Kinder, sie spielen herum. Sie glauben, dass das, was sie wollen, auch passieren wird.
S. Vinokur: Aber wir sind dabei, ein neues Land aufzubauen, ein ganz neues Land.
M. Laitman: Ihr könnt es gerne wollen, aber es wird euch nicht gelingen, weil ihr noch nicht dazu bereit seid.
S. Vinokur: Die Grundlage für den Aufbau eines neuen Landes ist also in jedem Falle eine Umerziehung?
M. Laitman: Es ist eine Umgestaltung des Menschen.
S. Vinokur: Dann wird es nicht schnell gehen.
M. Laitman: Nein, es wird nicht schnell gehen, und es erfordert immer noch Leiden, Geburten, Erwachsenwerden. Es ist eine ernste Aufgabe, und die Menschheit wird sich ihr nicht entziehen können. Wir können nicht davor weglaufen!
S. Vinokur: Wir werden also nicht in der Lage sein, das Zerstörte wieder aufzubauen, das Alte irgendwie zu verändern, aufzurichten, um etwas Neues zu schaffen?
M. Laitman: Nein, nichts von alledem. Auf dem, was zerstört wurde, kann man nichts aufbauen. Der Mensch muss deutlich spüren, dass er auf sich selbst keine neue Welt aufbauen kann.
Ja, ich muss anders werden. Ohne mich selbst zu verändern, werde ich nichts Neues erschaffen können. Ich gehe sogar noch weiter und sage, selbst wenn wir ein Modell aus dem Land nehmen, in dem es entwickelt wurde…Wenn wir es aus Europa mitbringen und bei uns versuchen, etwas ähnliches zu machen, dann bekommen wir es auch nicht so hin, wie es dort ist.
S. Vinokur: Ich meine, ich sehe mir Schweden und Finnland an. Das sind so glückliche Länder – so möchte ich auch leben! Ich möchte so leben. Und es wird nicht funktionieren?
M. Laitman: Das wird es nicht.
S. Vinokur: Sind die Menschen dort korrigiert?
M. Laitman: Die Menschen dort sind korrigiert, mehr reformiert. Sie haben eine längere Geschichte. Sie sind uns ein paar hundert Jahre, ja sogar mehr als ein paar hundert Jahre voraus in ihrer sozialen Entwicklung, in ihren sozialen Beziehungen.
Diese inneren Formen, die sie als Ergebnis der sozialen Evolution bereits in sich selbst gefunden haben, haben wir noch nicht.
Sie haben ein größeres Bedürfnis nach Kommunikation, nach Gemeinschaft. Der Wert der Gesellschaft, der Kommunikation, der Gruppe, des Volkes – sie haben alles, auch wenn es im Äußeren nicht betont wird, wir sehen, sie können auf Ackerhöfen leben, aber es ist heilig für sie. Es bedeutet ihnen sehr viel. Wenn sie also etwas erfinden – selbst ihre Erfindungen sind die praktischsten und einfachsten -, sind sie mehrere Generationen älter als wir. Und wenn wir etwas von ihnen erhalten oder etwas von ihnen kaufen, ist es, als ob wir es bis auf unser Niveau zurücksetzen.
S. Vinokur: Ich kann also nicht selbst so etwas tun?
M. Laitman: Niemals. Sagen wir mal, ich nehme einen „Volvo“ und versuche, einen für mich zu machen – es wird auf jeden Fall etwas von mir drin sein. Und deshalb wird es schlecht sein. Wir können die Welt also nicht auf diese Weise umbauen. Wir können uns nur gemeinsam erziehen.
S. Vinokur: Ich verstehe. Ich dachte, ich würde Sie fragen, was in der Produktion, in der Wirtschaft und in der Politik zu tun ist. Und Sie würden mir darauf antworten.
M. Laitman: Nein. Wir müssen den Menschen umgestalten. Wir müssen einen neuen Menschen schaffen. Entsprechend der Stufe auf die wir ihn erheben, schaffen wir das neue Umfeld, den neuen Staat, die Gesellschaft und so weiter.