„Ich rase durch den Horizont – kann nicht mehr stoppen” – so endet eines der bekanntesten Lieder vom Liedermacher Vladimir Wysotsky [1]. Ein Lied über ein Rennen, bei dem es unmöglich ist zu gewinnen, aber auch unmöglich anzuhalten. Unser Zeit scheint diesem Finale neue Zeilen hinzuzufügen.
Nachrichten und Untersuchungsergebnisse in der heutigen Welt sind eine nicht enden wollende Aneinanderreihung von Negativität: Krisen, Konflikte, Bedrohungen, Kriege und Katastrophenszenarien. Auch Hollywood mit seiner Lawine von Apokalypsen und negativen Zukunftsszenarien ist sich nicht zu schade, Weltuntergangsstimmung zu produzieren. Auch wenn man diese Bilder verdrängen kann, so überwältigen sie einen doch von Zeit zu Zeit. Und man fragt sich: Was ist jetzt eigentlich die Realität? Sind es diese Horrorszenarien?
Ein kritischer Blick auf die aktuelle Situation zeigt, dass die Medien die Panikmache unterstützen. Wir werden geradezu damit attackiert. In unserer Zeit ist es am einfachsten, die Menschen mit Ängsten und Unsicherheiten von den wahren Problemen abzulenken und so zu verunsichern. Dabei erscheint die Zukunft wie eine dunkle Wolke ohne Licht, ohne gute Verheißungen. Es ist ein Gefühl, als treibt es den Menschen in eine Sackgasse, in der er diese Botschaften für real hält und damit den Manipulatoren Glauben schenkt. Diese Sicht macht blind für den Anbruch einer neuen Ära bzw. eines neuen Lebens und neuer Beziehungen.
In Wahrheit steht die Welt nämlich nicht kurz vor einer Explosion. Denn eine Explosion erfordert Druck, damit sie Barrieren und Hindernisse niederreißen kann. Selbst in einer Zeit, in der viele am Ende ihrer Kräfte sind und Unzufriedenheit und Misstrauen herrschen, ist die allgemeine Stimmung weit davon entfernt, wirkliche Rebellion und unversöhnliche Konfrontation auszulösen. Im Gegenteil. Die Menschen sind auf der Suche nach Frieden, nach innerer Ruhe. Sie wollen einfach ein normales Leben führen, auch wenn sie sich mehr einschränken müssen im Vergleich zu früher. Das Verlangen nach materiellen Genüssen hat sich verändert, die Ansprüche sind geringer geworden. Die menschliche Gesellschaft lässt sich nicht mehr von Versprechungen der Herrschenden und Eliten verführen. Sie sind immer weniger bereit, an einem „Rennen ohne Ziellinie“ und mit bedeutungslosen Preisen teilzunehmen. Die vergangene Pandemie hat gleichsam allen die Schattenseiten dieses Rennens vor Augen geführt. Viele stellen sich die Fragen: Wozu das alles? Warum dieses Wettrennen ins Nirgendwo? Und obwohl diese Botschaft noch nicht verstanden wird, hat damit eine neue Ära begonnen.
Ein leerer Tank
Die Welt ist voller Sorgen und Probleme und steht vor grundlegenden, schwierigen Herausforderungen. Scheinbar sind die Menschen immer weniger bereit, die Zukunft der Welt durch das Prisma des Geldes und der Wirtschaftsprogramme, die von den Eliten auferlegt werden, zu sehen. Allen ist klar: Was auch immer von der Elite vorgeschlagen wird – am Ende dient es nicht allen Menschen, sondern nur ihnen selbst.
Die meisten akzeptieren das,weil sie wissen, dass dies in der Natur des Menschen liegt. Leute mit Geld sind und bleiben am Ruder, begierig darauf, ihre Konten weiter zu füllen, während der übrigen Menschheit das Interesse für dieses Vergnügen durch Anhäufung von Geld fehlt.
Scheinbar wirkt die Zeit heilend – sie hat den einstigen Eifer im verbissenen Rennen nach Geld gebremst und ihm den Titel des absoluten Erfolgskriteriums genommen. Das Kapital hat seine Macht behalten, aber nicht seine Autorität. Die heutige Zeit zwingt den Menschen, sich zu ändern, das Leben anders zu bewerten und nicht nur nach Geld zu streben. Natürlich wäre jeder gerne Millionär. Doch irgendwo in der Tiefe erwachen bei vielen diese Fragen, warum sollten sie das eigene Leben einem materiellen Wettlauf opfern?
Nein, die Menschheit will nicht mehr an diesem Rennen teilnehmen! Sie gibt sich zwar immer noch einigen Illusionen hin, aber die einzelnen Menschen haben weder die Kraft noch den Wunsch, für den Rest ihres Lebens „über den Horizont zu rasen”. In Wysotskys Lied versagen die Bremsen des Rennfahrers, er hat keinen Treibstoff mehr und der Motor „hustet“. Die Weiterfahrt wird immer langsamer, da neue Perspektiven fehlen. Heute spüren auch junge Menschen, dass der Motor nicht mehr zündet und eine Weiterfahrt schwierig bis unmöglich ist.
Selbst wenn es so aussieht, als sei alles noch wie immer, sollte man sich nicht täuschen lassen. Hinter der äußeren Erscheinung des Lebens verbergen sich tiefe innere Veränderungen. Der Trend, endlos Geld verdienen zu wollen und zu verbrauchen, ist vorbei. Viele erkennen die Zeichen der Zeit vor lauter Illusionen und Angst vor Veränderungen noch nicht wirklich, denn es ist noch nicht ersichtlich, was an die Stelle dessen treten soll.
Die Sprache des Wandels
Um aus dieser Sackgasse herauszukommen, ist es notwendig, sich früher oder später die grundlegende Frage nach dem Sinn und Ziel des Lebens zu stellen und diese Frage auch beantworten zu können. Erst dann wird es möglich sein, den Fesseln der Vergangenheit zu entkommen. Ohne zu diesen wesentlichen Fragen zu gelangen, ist kein Anreiz für echte Anstrengungen mehr möglich. Während die alten Werte verblassen, wird der Versuch unternommen, mit lächerlichen Maßnahmen die Situation zu lindern.
Der Mangel an „echtem Sinn” wird noch nicht als problematisch erkannt. Doch nach dem anfänglichen Trost durch diese Maßnahmen kommt die wahre Trostlosigkeit. Diese Trostlosigkeit wird die Menschheit dazu zwingen, eine Antwort auf die neue Herausforderung zu finden und sich weiterzuentwickeln.
Doch was ist die Antwort? Ganz einfach: gemeinsam! Notwendig ist das gemeinsame Interesse eine Lösung zu finden und vor allem: gegenseitiges Verständnis! Das wird Komplementarität genannt und bedeutet, in einem System zusammenzuwirken und sich zu ergänzen. Es ist bekannt, dass es in einem funktionierenden System keine einzelnen Teile, die unabhängig vom Ganzen existieren können, gibt. Daraus folgt, dass es auch in der Gesellschaft keine Menschen, Gruppen und Nationen geben kann, die unabhängig von den anderen leben können. Alle in diesem „System“ sind wichtig und wertvoll, weil jeder sein Potenzial zum Wohle des gemeinsamen Ganzen einbringt. Darin manifestiert sich die Individualität eines jeden mit all ihren Facetten, und eröffnet damit neue Ebenen der Einheit.
Nur in einer solchen Gesellschaft ist ein Sinn zu finden, für den es sich zu leben, zu arbeiten und zu lieben lohnt. Die Folge davon wird ein ruhigeres und ausgeglicheneres Leben für alle sein, von Eitelkeiten und Ängsten befreit. Es wird für alle einen neuen, sichtbaren Wert bekommen und gleichzeitig einen erstaunlichen Reichtum menschlicher Beziehungen, von „Herz zu Herz“, offenbaren.
Der Mensch wird lernen, bevor er etwas tut, zu prüfen, wohin seine Handlung führt. Wem bringt es einen Vorteil? Ihn selbst? Oder der Gesellschaft, in der er lebt? Macht es die Menschheit glücklicher? Dies ist ein sehr praxisorientierter Ansatz!
Noch sieht die von „mächtigen Männern” eingeschüchterte Menschheit diese Perspektive nicht. Sie nimmt sie nicht als etwas Reales, Notwendiges wahr, obwohl die heutigen Versprechungen und Lösungsvorschläge falsch und alle Vereinbarungen mit Lügen durchtränkt sind.
Die gegenwärtige Lage kann als Übergangsphase bezeichnet werden. Die Menschheit muss erst noch verdauen, was geschieht, um darin den neuen Trend zu erkennen. Eines Tages werden den Menschen die Augen aufgehen, und sie werden erkennen, dass sie sich im Griff von etwas befinden, das sie einschüchtern, verwirren, in die Enge treiben will und so mit ihnen spielt wie mit einem Spielzeug. Dann wird der Schleier fallen und es wird klar sichtbar: nicht die Ökonomen, nicht die Politiker, nicht die sozialen Medien und die High-Tech-Bonzen, sondern das Leben selbst wird dem Menschen zeigen, was gerade geschieht und was zu tun ist.
Am Ende wird die Menschheit erkennen, dass sie nicht von den Horrorszenarien, die wie Wellen über sie hinwegrollen, lernen sollte, sondern von den Veränderungen, die diese Wellen in ihren Herzen hinterlassen. Die Natur spricht heute die Sprache des Wandels. Ohne es zu bemerken, findet der Wandel im Inneren des Menschen statt. Manifestiert sich dies schließlich im menschlichen Bewusstsein, wird eine vereinte Welt vor den Augen aller sichtbar, deren Reichtum nicht in Geld, sondern in der Qualität der Verbindung untereinander gemessen wird.
[1] Wladimir Wysotsky, “Der Horizont”
https://wysotsky.com/1031.htm?889