Je weiter sich Nationen entwickeln, desto egoistischer und entfremdeter werden die Menschen, und dafür machen sie die Juden verantwortlich. Das ist ein Naturgesetz.
Übergangsflitterwochen – „Transition Honeymoon“ – wird in den USA für gewöhnlich die Zeit genannt, in der man einen neuen Präsidenten sein Team zusammenstellen und arbeiten lässt und von allzu harscher Kritik verschont. Im Durchschnitt sind es etwa sieben Monate. Der neue Präsident Trump hatte keinen einzigen Tag.
Von Attorney General Jeff Sessions angeblichen Bindungen zu Russland bis zu der „unpassenden“ Sitzposition der Beraterin Kellyanne Conway auf dem Sofa im Oval Office – täglich, stündlich wird am neuen Präsidenten kein gutes Haar gelassen.
Wenn irgendetwas an dieser infantilen „Verfolgung“ des Präsidenten gut ist, dann ist es die Aufdeckung der Tatsache, dass Amerika vor Antisemitismus strotzt. Schlimmer noch, Berichte zeugen von einem explosionsartigen Anstieg bei Hassverbrechen gegen Juden: die Rede ist unter anderem von einem Anstieg der Zahl antisemitischer Vorfälle in New York City zwischen 2015 und 2016 um ganze 94%.
Dies, gekoppelt mit derTatsache, dass bei diesen Hassverbrechen neuerdings auch Feuerwaffen eingesetzt werden, macht diese weit gefährlicher, wie bei dem Vorfall in der Synagoge in Indiana, als eine Kugel in den Klassenraum abgefeuert wurde. Wir können uns nicht länger selbstgefällig zurücklehnen.
In meiner vorherigen Kolumne habe ich bereits dargelegt, dass eine Gesellschaft, je egoistischer sie wird, umso anfälliger für Antisemitismus wird. Der gegenwärtige Level des Egoismus in der amerikanischen Gesellschaft zersetzt sie. Solange in den USA kein drastischer Wandel in Richtung Zusammenhalt stattfindet, wird die Schuld an der Not des Landes den Juden gegeben werden – schon wieder.
Wie der Egoismus wächst
Das Wachstum des Egoismus ist unvermeidlich. Es ist weder gut noch schlecht, sondern ein natürlicher Entwicklungsprozess. Auf der unbelebten, pflanzlichen und tierischen Ebene der Natur gibt es keinen Egoismus, sondern nur das Verlangen nach Selbsterhaltung bzw. den Drang zu überleben.
Auf jeder Ebene, außer der menschlichen, nimmt die Natur reibungslos ihren Verlauf, wenn zwei einander entgegengesetzte Kräfte einander ausgleichen und eine ausbalancierte Evolution hervorbringen. Eine Kraft, die positive, verbindet, und die andere Kraft, die negative, trennt.
Auf der subatomaren Ebene halten die beiden Kräfte die Elektronen in einer relativ steten Distanz zum Kern und erhalten auf diese Weise die Unversehrtheit der Atome. Auf der molekularen Ebene sorgen eben diese beiden Kräfte dafür, dass Atome innerhalb von Molekülen miteinander verbunden bleiben, während sie als unterschiedliche Atome ihre Eigenständigkeit bewahren.
Auf der organischen Ebene verbinden die beiden Kräfte Zellen und Organe zu Organismen, während sie die unterschiedliche Identität jeder Zelle und jeden Organs innerhalb des Organismus bewahren.
Ebenso sind innerhalb der Ökosysteme alle Arten untereinander verbunden und voneinander abhängig, behalten jedoch ihre unterschiedlichen Identitäten bei. Die Arten fressen einander, aber sie tun es nur um zu überleben, und weil sie so von der Natur geschaffen wurden. Es gibt keine Böswilligkeit in ihren Beziehungen. Wenn zum Beispiel ein Löwe ein Zebra frisst, so tut er dies nicht um dem Zebra zu schaden.
Er tut es, weil er hungrig ist und seinen Hunger nicht auf andere Weise stillen kann. Sobald sein Magen voll ist, hört er auf zu fressen, überlässt den Kadaver den Aasfressern, und wird nicht eher jagen, als sein leerer Magen ihn zwingt, wieder nach Beute zu suchen. Der Mensch bildet eine Ausnahme von dieser Naturregel. Fast alles was wir tun stammt von der Feindseligkeit anderen gegenüber.
Die Erhaltung unserer Körper erfordert heutzutage praktisch keinerlei Anstrengung, so dass wir den Großteil unserer Zeit, Gedanken und Bemühungen damit verbringen, exzessiv zu konsumieren und zu versuchen, uns anderen gegenüber zu behaupten. Wir tun es nicht um zu überleben, sondern um unseren Stolz zu nähren und unser Selbstbewusstsein zu steigern. Mit anderen Worten, wir tun dies für unsere Egos.
Die Balance, die in der gesamten Natur aufrechterhalten wird, ist in der Menschheit nicht vorhanden, da uns die positive Kraft fast gänzlich fehlt. Genau wie die Torah sagt: „Die Neigung des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an.“ (Gen 8 : 21)
Schlimmer noch, je mehr wir versuchen, unser egoistisches Verlangen zu befriedigen, desto stärker wächst es an. Der Midrash sagt darüber: „Ein Mensch verlässt die Welt nicht mit der Hälfte seines Verlangens in der Hand. Im Gegenteil, wenn er einhundert hat, will er zweihundert, und wenn er zweihundert hat, will er vierhundert“ (Kohelet Rabah 3:13).
Das ist der Grund, warum wir mit dem was wir haben nie zufrieden sind und alles im Überschuss haben wollen: Essen, Sex, Geld, Macht. Und je mehr wir haben, desto mehr wollen wir haben. Doch eines wollen wir mehr, als zu besitzen: wir wollen mehr besitzen als andere.
In einem Fachartikel mit dem Titel: „Ist mehr immer besser? Eine Studie über Positionierungsbelange“, legen die Harvard University – Professoren David Hemenway und Sara Solnick dar, dass Menschen, die sie für ihre Studie befragt haben, es vorziehen würden, ein jährliches Gehalt von 50,000 USD zu beziehen, wenn andere in ihrer Umgebung 25,000 USD erhalten, als 100,000 USD im Jahr, wenn anderere in ihrem Umkreis 200,000 USD verdienen.
Wenn der Wettbewerb uns krank macht
Für sich genommen ist Wettbewerb nicht schlecht. Er treibt uns dazu an, unser Potential zu steigern und zu maximieren. Aber unser unersättliches Verlangen nach Überlegenheit macht den Wettbewerb zwischen uns destruktiv. Wie eben dargelegt, wollen wir nicht einfach besser sein, sondern besser als andere! Und wenn wir es erreichen können, indem wir die anderen mit Füßen treten, so wird das unseren Erfolg sogar noch versüßen.
Während das Ego uns antreibt, Technologie, Medizin und Wissenschaft zu entwickeln, nutzen wir diese nicht, um der Menschheit Gutes zu tun, sondern um unsere Gier zu bedienen. Pharmazeutische Firmen haben wenig Interesse an der Gesundheit der Menschen. Als Folge davon entwickeln sie Medikamente, die uns am Leben erhalten, aber dafür sorgen, dass wir krank bleiben.
Im gleichen Sinne haben auch Lebensmittelproduzenten kein Interesse daran, uns mit gesundem Essen zu versorgen, sondern im Gegenteil mit Nahrungsmitteln, die uns dazu bringen, mehr davon zu konsumieren. Die großen Mengen an Salz, Zucker und Zusatzstoffen, die in den industriell verarbeiteten Lebensmitteln zu finden sind, zielen darauf ab, uns aufs Neue anzulocken. Ist es da ein Wunder, dass wir unter einer Epedimie von Übergewicht leiden?
Der Kipppunkt
Es gibt einen guten Grund dafür, warum das Ego wächst und uns dazu antreibt, Macht und Kontrolle zu erlangen. Wir wurden zu Herrschern über die Erde, weil die Natur uns so erschaffen hat, dass wir Dominanz und Macht suchen. Überdies besteht der Grund dafür, dass die Natur uns ohne die positive Kraft erschuf, darin, dass deren Abwesenheit uns dazu veranlassen würde, Dominanz zu suchen. Bei unserer Suche würden wir herausfinden, dass das fehlende Element in unserem Leben die positive Kraft ist, und wir würden lernen, mit ihr bewusst und effektiv zu arbeiten.
Immer wenn die Menschheit einen neuen Gipfel ihrer egoistischen Entwicklung erreicht, beginnt sie die Abwesenheit der positiven Kraft als Mittel zum Ausgleich ihres exzessiven Egoismus zu fühlen. Dies ist der Moment, in dem diese Kraft von selbst in Erscheinung treten muss, den Egoismus ausgleichen und die Menschheit zur nächsten Stufe der Entwicklung bringen muss, auf der sie wirklich verstehen, wie die Natur funktioniert, und wie sie eine blühende Gesellschaft für alle aufrecht erhalten können.
Das Problem ist, dass für das Ego das Heilmittel der positiven Kraft – welche Verbindung und Zusammenarbeit zwischen den Menschen fördert, statt Trennung und Wettbewerb – eine bittere Pille ist, die es zu schlucken gilt. Meistens wählen die Menschen die Einstellung von „Lasst uns essen und trinken, denn morgen könnten wir sterben“ (Jesaja 22,13). Wenn sie aufwachen, ist es meist zu spät, den Kurs zu ändern.
Die Geburt des Antisemitismus
Wie ich in der vorangegangenen Kolumne ausgeführt und in meinem Essay, der unter dem Titel „Wer bist du, Volk Israel?“ in den New York Times erschien, noch detaillierter dargelegt habe, war Abraham der erste Mensch, der den Prozess des Wachstums des Egos entdeckte und die Notwendigkeit beschrieb, durch die Einführung der positiven Kraft den Ausgleich zu schaffen.
Als er anfing, seinen babylonischen Brüdern davon zu erzählen, dass alles gut werden würde, sobald sie sich nur über ihren Hass erheben und sich miteinander verbinden würden, schickte Nimrod, der König von Babylon ihn ins Exil und zwang ihn dazu, eine Reise zu beginnen, die letztendlich das Volk Israel hervorbringen sollte. Dieser Kampf zwischen den beiden war die Geburt des Antisemitismus.
Ohne die positive Kraft setzte Babylon seine stufenweise Zersetzung fort und wurde schließlich erobert und aufgelöst. Die gesamte Geschichte hindurch entkam nicht ein einziges Imperium dem Schicksal des Ruins durch das Ego. Gleichzeitig war die einzige Nation, die zahlreiche Verfolgungen und Vernichtungsversuche überlebte, das Volk, das Abraham, Isaak und Jakob begründeten – das israelische Volk – das in seinem Herzen den Samen der Einheit pflanzte.
Wenn wir auch in den vergangenen 2000 Jahren nicht vereint waren und, wahrscheinlich mehr als jede andere Nation, unter dem inneren Hass litten, erhielt uns dieser schlummernde Samen der Einheit, den wir besitzen, und er erhält uns noch.
Der bekannte Autor Mark Twain sann in seinem berühmten Essay, „Bezüglich der Juden“, über das Überleben der Juden und das Verschwinden der anderen großen Nationen nach. „Die Ägypter, die Babylonier und die Perser stiegen auf, füllten den Planeten mit Glanz und Glorie, lösten sich anschließend in Traumgespinste auf, und verschwanden“, schrieb Twain.
„Griechen und Römer folgten, machten großen Lärm und waren auch dahin. Der Jude sah sie alle, schlug sie alle und ist jetzt, was er immer war. Alle Dinge sind sterblich, außer dem Juden; alle anderen Kräfte vergehen, er aber bleibt. Was ist das Geheimnis seiner Unsterblichkeit?“
Unter Moses wurden wir zur Nation, als wir uns dazu verpflichteten, füreinander zu bürgen und uns wie „ein Mensch in einem Herzen“ zu verbinden. Trotz unseres wachsenden Egos bemühten wir uns, unseren Nächsten zu lieben wie uns selbst. Dieser Kampf zwang uns dazu, unsere Methode der Verbindung zu verbessern und zu perfektionieren.
Er pflanzte das Prinzip der Einheit über allem Hass so tief in uns ein, dass die jüdischen Weisen, ungeachtet der Tatsache, dass wir wegen grundlosem Hass aus unserem Land vertrieben wurden, immer für Einheit über dem Hass als Mittel für Überleben und Wohlstand eintraten. Rav Kook schrieb in Hinblick darauf: „Die großartige Regel hinsichtlich des Krieges der Standpunkte ist, dass wenn eine Sichtweise der anderen widerspricht, wir uns dem nicht widersetzen sollen, sondern vielmehr darüber bauen, und somit aufsteigen.“(Briefe des Raiah).
Die ewigen Parias
Seit der ersten Konfrontation zwischen Abraham und Nimrod sind wir die Ausgestoßenen der Welt – stets zunächst willkommen, zuletzt vertrieben. Die Völker fühlen, dass die Juden sich durch etwas unterscheiden, eine geheime Kraft, aber das Ego läßt sie nicht fühlen, dass dieses Etwas die Fähigkeit ist, sich über dem Hass zu verbinden. Heute fühlen es nicht einmal wir selbst.
Je weiter sich eine Nation entwickelt – aus eigener egoistischer Antriebskraft – desto mehr ist sie darauf angewiesen, dass die positive Kraft ihren Egoismus bändigt und ihren andernfalls unvermeidlichen Kollaps verhindert. Und wenn die positive Kraft nicht eintrifft, da wir Juden selbst dem gegenseitigen Hass verfallen sind, machen die Völker instinktiv uns für ihren Kollaps verantwortlich und strafen uns.
Wir nennen das Antisemitismus, aber in Wirklichkeit gibt es so etwas nicht. Antisemitismus ist bloß das Bauchgefühl der Völker, dass die Juden im Besitz des Schlüssels zum Glück sind und diesen nicht weitergeben. Obwohl wir selbst keine Ahnung haben, was der Schlüssel ist, und nicht einmal wissen, dass wir ihn haben, fühlt die Welt dennoch, dass es unsere Schuld ist, dass sie miteinander kämpfen und einander töten.
Mel Gibsons altbekannte Hasstirade, „Die Juden“ seien „für alle Kriege in der Welt verantwortlich“, ist im Grunde ein authentischer Ausdruck dessen, was die meisten Nicht-Juden fühlen, besonders diejenigen unter den Nationen, die stärker entwickelt und somit egoistischer sind. Es ist gerade deshalb so, weil sie egoistisch sind und deshalb dringlich ein Heilmittel für ihre Krankheit benötigen. Und instinktiv erwarten sie dies von uns.
Es gibt ganz einfach keine Möglichkeit, es auf sanfte Art auszudrücken: Wenn die amerikanischen Juden dem hyperegoistischen amerikanischen Volk nicht die Methode der Verbindung über dem Hass übermitteln, wird das amerikanische Volk mit den Juden tun, was die Völker seit Abrahams Zeiten immer mit den Juden getan haben. Alles, was Juden der Welt zu entwickeln geholfen haben, die gesamte Wissenschaft und Technologie, die das Leben einfacher und effizienter machen, all das kann und wird gegen sie verwendet werden.
Was die amerikanischen Juden heute tun müssen, ist, sich über ihrem gegenseitigen Hass zu verbinden und dadurch als ein Beispiel zu dienen! Der Same der Verbindung liegt in jedem Einzelnen unseres Volkes. Alles was wir tun müssen, ist eine Anstrengung zu unternehmen, uns zu verbinden, und er wird wieder zum Leben erwachen.
Verbindung machte uns am Fuße des Berges Sinai zu einer Nation und ist dafür verantwortlich, dass wir damit beauftragt wurden, „ein Licht für die Völker“ zu sein, ein Beispiel der Einheit zu einer Zeit der narzisstischen Dunkelheit. Die latente Methode der Verbindung, die die Juden besitzen, ist das Einzige, was den Antisemitismus stoppen und den Zerfall der amerikanischen Gesellschaft rückgängig machen wird. Je länger wir warten, desto schwieriger wird es sein, dies zu erreichen.