“Die Welt in Stand zu setzen, heißt die Bildung in Stand zu setzen.”
Janusz Korczak, Erzieher
Wie Kinder gemeinsam am erfolgreichsten sind
In unserer zunehmend global vernetzten
Welt, voller gegenseitiger Abhängigkeit, sind unsere einstigen Methoden und Werkzeuge, auf einer auf fragmentierten, isolierten und auf gnadenlosem Wettbewerb basierenden Weltsicht, obsolet, ja geradezu schädlich.
In einem derart neuen System hängt unsere Zukunft davon ab, wie wir unsere Kinder erziehen, nicht uns selbst. Aus diesem Grund scheint es angemessen, einige der Grundlagen der Kindererziehung in der neuen Welt vorzustellen.
Am wichtigsten ist die Schule. Zweck der Schule in der neuen Welt ist es, nicht einfach nur Wissen einzupauken, damit das Kind in der Lage ist, eine Prüfung zu bestehen. Vielmehr sollte die Schule Kinder zu Menschen oder besser noch, zu humanen Wesen heranziehen. Die Kinder sollten im Hinblick auf die Art von Welt, in der sie als Erwachsene leben sollen, herangezogen werden. Ihnen sollte Werkzeug mitgegeben werden, das sie ermächtigt, zu den verbundenen und kommunikativen Persönlichkeiten zu werden, zu denen wir Erwachsene machen wollen, fähig, aufrichtige Beziehungen der gegenseitigen Fürsorge aufzubauen.
Dies wird möglich, wenn die Atmosphäre in der Schule prosozial und, sehr wichtig, die Atmosphäre zuhause “pro-Schule” ist. Anstatt zu lernen, Klassenbester zu sein, müssen Kinder gelehrt werden, wie man eine Gesellschaft schafft, in der alle Kinder miteinander verbunden sind und eine Atmosphäre der Freundlichkeit und Gleichberechtigung herrscht. Sie können beispielsweise damit beginnen, im Kreis zu sitzen anstatt in Reihen. Mit Spielen können sie lernen, wie viel Kraft und Sinn diese Art des Lernens bietet.
Das Konzept des sozialen versus individuellen Lernens ist kein theoretischer Begriff. Es wurde so oft erfolgreich ausprobiert, dass die Frage angemessen erscheint, wie man seine offensichtlichen Vorteile so lang hat übersehen können.
In einem Essay mit dem Titel “Eine Erfolgsgeschichte der pädagogischen Psychologie: Theorie der sozialen Interdependenz und kooperatives Lernen.” stellen die Professoren der Universität Minnesota, David W. Johnson und Roger T. Johnson einen überzeugenden Fall für die Theorie der sozialen Interdependenz vor.
Johnson und Johnson verglichen die Effizienz des kooperativen Lernens mit dem allgemein üblichen kompetitiven Lernen. Die Ergebnisse waren eindeutig.
Im Hinblick auf die individuelle Verantwortlichkeit und persönliche Verantwortung folgerten sie
“Die positive Interdependenz, die Gruppenmitglieder zusammenhält, spiegelt sich wider (a) in einem Gefühl der Verantwortung, den eigenen Anteil der Arbeit zu vollenden und (b) in der Unterstützung der Arbeit der anderen Gruppenmitglieder.
Wenn die eigene Leistung darüber hinaus die Resultate der anderen Teammitglieder beeinflusst, fühlt die Person sich für das Wohl der anderen im Team ebenso verantwortlich, wie für das eigene. Selbst eine Niederlage zu erleben, ist schlimm, aber für die Niederlage anderer verantwortlich zu sein, ist schlimmer.“
Mit anderen Worten, positive Interdependenz macht Individualisten zu fürsorglichen und kooperativen Menschen – dem vollkommenen Gegenteil des derzeitigen Trends eines an Narzissmus grenzenden exzessiven Individualismus.
Revolutionäre Art und Weise für den Lehrer- und Schüleraustausch
Beim kooperativen Lernen hat der Lehrer nicht die Aufgabe, den Lehrstoff zu diktieren, sondern vor allem die Kinder zu leiten. Sie sollen ihren Lehrer als erwachsenen Freund und kompetente Person wahrnehmen. Lehrer und Schüler sollten in einem Kreis zusammensitzen, auf gleicher Höhe und als Gleichberechtigte diskutieren. Überlegenheit und Kontrolle werden an dieser Stelle durch eine subtile Lenkung ersetzt, die den Kindern helfen soll, Dinge durch Nachdenken und gemeinsame Anstrengung im Team selbst herauszufinden.
Kinder lernen, nachzudenken, Ansichten zu teilen und zu diskutieren und dabei einander aufgrund der persönlichen Stärken und Einzigartigkeit zu respektieren. Dies ermöglicht jedem einzelnen, die eigenen Gedanken frei zu äußern und die besonderen Eigenschaften jedes Schülers offenzulegen. So erweitern Kinder ihren Horizont und nehmen neue Ideen und Perspektiven auf.
Durch Wiederholung dieses Lernmodus, lernen die Kinder, die Verbindung zwischen ihnen als das höchste Gut zu schätzen, dem sie alles Wissen und alle Kraft, die sie besitzen, verdanken. Sie beginnen, es zu genießen, dass sie nur gemeinsam mit anderen erfolgreich sind und der Wert jedes einzelnen nicht nach der individuellen Exzellenz, sondern nach dem Beitrag dieser Exzellenz zum Erfolg der Gruppe gemessen wird.
Die Lerngruppen sind relativ klein und in jeder Gruppe sind ein oder zwei Kinder, die zwei oder drei Jahre älter als die anderen sind und ebenfalls als Lehrer fungieren. Da ein Kind von Natur aus dazu neigt, andere Kinder nachzuahmen, sind diese Kinder-Lehrer die besten Lehrer, da die Schüler sie ganz natürlich nachahmen werden. Die älteren Kinder gewinnen durch das Unterrichten auch sehr viel – ein tieferes Verständnis des Unterrichtsstoffes und ihrer selbst, sowie eine Gelegenheit, etwas zur Gemeinschaft beizutragen und ihre Anerkennung zu gewinnen.
Die Disziplin der Kinder erfährt einen vollkomenen anderen Umgang als in den heutigen Schulen. Wenn ein Kind sich daneben benommen hat, sind es die Kinder selbst, die gemeinsam mit den Erwachsenen und den Experten entscheiden, wie mit der Situation umzugehen ist. Kinder müssen ein konstruktives, kritisches Denken lernen und die Analyse kleiner Krisen sind hervorragende Gelegenheiten, um solches Denken zu lehren. Wenn ein Kind sich schlecht benimmt, versammelt sich die Klasse und diskutiert, was zu tun ist und wie verhindert werden kann, dass dies wieder geschieht.
Die Diskussion ist nicht rein theoretischer Natur. Die Kinder (nicht, diejenigen, die Gegenstand der Diskussion sind) simulieren die Situation und berichten der Klasse, wie sie sich gefühlt haben und was sie dazu angetrieben hat, sich so zu verhalten, wie sie es getan haben und so weiter. Sie leiten dann eine Diskussion in der Gruppe, an der alle Kinder teilnehmen, so dass im Moment der Entscheidung alle Kinder alle Seiten des Vorfalles “miterlebt” haben. So können sie viel gerechter, mitfühlender und verständnisvoller entscheiden.
Solche Diskussionen lehren Kinder, Dinge aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten und zu wissen, dass es okay und sogar natürlich ist, viele Ansichten zum selben Thema zu haben. Bei wiederholter Simulation und Prüfung von Ideen aus verschiedenen Blickwinkeln, lernen die Kinder ihre Meinung zu ändern, zu bereuen, Fehler zuzugeben und eher die Ansichten ihrer Freunde zu rechtfertigen als die eigenen.
Wie praktische Erfahrungen die Entwicklung von Kindern bereichern
Mindestens einmal wöchentlich nehmen die Kinder an Exkursionen statt, die ihnen helfen sollen, die Welt in der sie leben, ganz aus der Nähe kennenzulernen. Empfehlenswert sind hierbei Ziele, die sie ansonsten nicht aus so einer Perspektive sehen und erleben würden, wie Banken, Polizeireviere, Museen aller Art, Fabriken und Gerichte.
Jeder dieser Exkursionen gehen Erklärungen über den Ort voraus und sie besprechen, was sie von ihm erwarten, was sie bereits darüber wissen, welche Rolle er in ihrem Leben spielt und welchen Dienst er für die Gesellschaft leistet, welche Art von Leuten dort arbeitet, welche Ausbildung und Qualifikation für die Arbeit dort notwendig ist. Nach dem Ausflug sprechen die Kinder über ihre Erfahrungen und das, was sie auf der Exkursion gelernt haben und bereichern so einander mit ihren Eindrücken.
Aufgrund solcher hautnahen Erfahrungen lernen sie, wie integral und verbunden die Welt ist. Einfach nur dadurch, dass man ihnen verschiedene Orte, ihre Funktionen in unseren Leben und ihre Verbindung zu anderen Orten, die ihr Leben beeinflussen, zeigt. Diese Informationen sind für das Selbstvertrauen und für die Vorbereitung auf das Leben nach der Schule essentiell.
Eine weitere wichtige Lernhilfe ist die Videokamera. Alle Unterrichte, die nicht eigentliche Unterrichte, sondern Diskussionen und Gruppenarbeit sind, sollten auf Video aufgezeichnet werden. Kinder gewöhnen sich schnell an die Anwesenheit einer Kamera und verhalten sich auf natürliche Weise. Auf diese Weise ist es ihnen möglich, sich selbst von der Seite zuzusehen und Vorfälle, die besonderer Aufmerksamkeit bedürfen, noch einmal abzuspielen. Beim Anschauen der Videoaufzeichnung einer Situation können sie klarer sehen, wie sie als Gruppe gearbeitet haben, wie sie mit Störungen und miteinander umgegangen sind. So können sie sich selbst und ihre Beziehung zu anderen beurteilen und sehen, wo sie erfolgreich sind und wo sie sich noch verbessern müssen.
Mit dieser revolutionären neuen Lernmethode wird die nächste Generation nicht nur Wissen über die Globalität der Realität gewinnen, die sie umgibt, sie werden sie auch zu einem Teil von ihr werden und sich wie Partner auf Augenhöhe fühlen.
Verfasser: Michael Laitman
Michael Laitman ist ein globaler Denker, der sich der Aufgabe verschrieben hat, durch eine neue globale Erziehung einen transformativen Wechsel der Gesellschaft zu vollziehen.
Er sieht hierin den Schlüssel zur Lösung der dringendsten Themen unserer Zeit.
Er ist der Gründer des ARI Institutes, Professor der Ontologie und der Erkenntnistheorie. Er hat einen Dr. phil. In Philosophie und einen Magister in medizinischer Kybernetik. Sie können ihn auf Google+, YouTube und Twitter finden.