Vor dem Hintergrund der Welle der Empörung über den Tod von George Floyd wurde ich gefragt, wie es gemäß der Kabbala möglich ist, Rassenunterschiede zu überwinden und dem Rassismus in all seinen Erscheinungsformen ein Ende zu setzen. Meine Antwort.
Zunächst gilt es zu verstehen, dass der Hass auf andere in der menschlichen Natur selbst verwurzelt ist. Tiere der gleichen Art unterscheiden sich manchmal in Farbe, Charakter und Fähigkeiten erheblich voneinander, dennoch führt es nicht zu Exzessen. Bei den Menschen ist dies anders. Die Unterschiede zwischen uns sind viel ausgeprägter, grundlegender, krasser.
Im Allgemeinen ist die Vielfalt und der Gegensatz ihrer Bestandteile, eine Eigenschaft der Natur. Jeder ist einzigartig. Keiner gleicht dem Anderen. Was sogar für Zwillinge gilt, gilt um so mehr für alle anderen Menschen. Uns trennt Vieles: Farbe, angeborene Eigenschaften, Geschlecht, Alter…
Wie könner wir unter diesen Bedingungen zu Gleichheit und Einheit gelangen?
So wie aus der Kakophonie eines Orchesters eine Symphonie wird, wenn alle Instrumente gestimmt sind und der Dirigent das Zeichen gibt. Der Dirigent ist die Liebe selbst.
Die Wissenschaft der Kabbala bietet eine Methode zur Umsetzung dieser Prinzipien in die Praxis. Wichtig ist hierbei, dass wir uns nicht vor der Trennung zwischen uns fürchten, sie nicht verschleiern, sie nicht böswillig nutzen, sondern in ihr einen Aufruf nach der richtigen gegenseitigen Ergänzung sehen.
Solange wir nicht zu einer solchen Einstellung bereit sind, konfrontiert uns die Natur immer wieder mit grossen, scheinbar unlösbaren Widersprüchen. Trotz „guter Absichten“ wachsen die Differenzen nur. Da überrascht es nicht, dass in Amerika wieder einmal ein Konflikt rund um Sklaverei und Rassentrennung aufflammt. Die Thematik ist nicht vom Tisch. Daran hat auch der vorherige Präsident nichts geändert.
Gleichberechtigung kann nicht mit Slogans, Gewalt oder demonstrativer Selbsterniedrigung erzwungen werden. Es ist unmöglich, die ursprünglichen Unterschiede auszuradieren, zu verschweigen, oder mit Heucheleien zu überspielen. Hier ist Liebe notwendig. Aufrichtige Liebe, die nichts vorgibt, die keine Angst hat vor Gegensätzen, sondern auf ihnen aufbaut.
Ohne Liebe reden wir in unserem Verschiedensein immer wieder aneinander vorbei. Mit ihr hingegen steigen wir zu einer Gemeinsamkeit auf, in der alles konstruktiv, fruchtbar und vereint ist.
Nur so können wir die Widersprüche lösen. Dafür müssen wir Menschen ausbilden. Wir müssen ihnen erklären, wie die Einzigartigkeit eines jeden in einer dynamischen, freiwilligen Komplementarität, in einer Gemeinschaft der unterschiedlichen Individuen, vollständig verwirklicht werden kann.
Es ist unmöglich, alle in den starren Rahmen eines gesellschaftlich propagierten „Ideals“ zu zwängen. Die Menschen müssen lernen, in einem integralen System zu leben, das es allen Individuen ermöglicht, sich der Einheit harmonisch anzuschließen.
In einer solchen Gesellschaft gibt es keine gedemütigten und beleidigten Menschen – alle fühlen sich gleichgestellt, nicht kraft Gesetz, sondern dank der Umgebung. In einer solchen Gesellschaft findet jeder sein wahres, einzigartiges und vollkommen integriertes Selbst. Hier gibt es keine Spaltungen oder Abgründe, die alles zwischen uns zerstören, sondern Brücken und Verbindungen, die über den Egoismus gespannt werden. Die Differenzen sind beseitigt – nicht verschleiert durch äußere politische Korrektheit, sondern kompensiert durch interne Übereinstimmung.
Offensichtlich ist das Potenzial für Einheit umso größer, je größer die Unterschiede zwischen uns sind. Indem wir all das ausgleichen, was uns trennt und spaltet, entdecken wir Liebe. Sie funkelt über der Spannung zwischen den beiden Polen und bringt Frieden über die Gegensätze hinweg. Unser Problem ist nicht, dass wir anders sind, sondern dass wir noch nicht lieben können.