Hin und wieder bin ich erstaunt über die Bereitschaft der Menschen, Führern im Namen einer Ideologie oder Religion blind zu folgen und zu glauben, dass dies alle Probleme der Welt lösen wird. Ich wundere mich nicht, dass Menschen zu Fanatikern werden können, sondern weil sie irgendwie immer noch nicht verstehen, dass „die Neigung des menschlichen Herzens von Jugend an böse ist“ (Gen 8,21). Irgendwie sehen wir trotz Äonen schlechter Erfahrungen, die ausschließlich von unserer bösen Natur herrühren, nicht, dass in uns einfach nichts Gutes ist. Wie geschrieben steht: „die Bosheit des Menschen ist groß auf Erden, und alle Gedanken seines Herzens sind böse den ganzen Tag“ (Gen 6,5).
Selbst wenn wir geben, tun wir es aus eigennützigen Motiven heraus. Baal HaSulam, der größte Kabbalist und Denker des vorigen Jahrhunderts und einer der größten aller Zeiten, brachte die Bosheit unserer Natur Anfang der 1930er Jahre in seinem Essay „Frieden in der Welt“ auf den Punkt. „In einfachen Worten“, schrieb er, „wollen wir sagen, dass die Natur eines jeden Menschen darin besteht, das Leben aller anderen Menschen auf der Welt zu seinem eigenen Nutzen auszubeuten, und alles, was er einem anderen gibt, geschieht nur aus Notwendigkeit.“ So betonte er:” Selbst dann gibt es eine Ausbeutung des anderen, aber sie wird mit List betrieben, so dass der Nächste es nicht merkt und bereitwillig nachgibt.“
Ich erwarte nicht von führenden Politikern, dass sie anerkennen, dass wir so sind, wie wir sind. Sie sind darauf fixiert, Macht und Kontrolle zu erlangen, und unterstützen daher jede Agenda, die ihre Popularität steigert. Aber was ist mit uns, den Menschen, die ihnen folgen? Haben wir noch nicht gelernt, dass jede Ideologie und jede Religion, auch wenn sie mit den besten Absichten beginnt, am Ende eigennützig, bevormundend und daher falsch ist?
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir die Wahrheit über die menschliche Natur erkennen, denn nur wenn wir sie anerkennen, werden wir wirklich versuchen, sie zu ändern. Bis dahin werden wir weiterhin an falsche Ideen und Dogmen festhalten, und uns gegenseitig durch unsere Unwissenheit bevormunden, ermahnen und foltern. Vielleicht hat Rudyard Kipling deshalb geschrieben: „Es gibt keine größere Sünde als Unwissenheit. Erinnere dich daran.“ In der Tat scheinen wir es nicht zu bemerken.
Wenn wir uns entschließen, unsere Natur zu ändern, werden wir entdecken, dass es tatsächlich eine Alternative gibt. Der Grund, warum wir jedes Wesen in unserer Welt als egoistisch und gefühllos gegenüber anderen wahrnehmen, ist, dass wir selbst so sind. Das ist jedoch überhaupt nicht die Wahrheit. Wäre es so, würde diese Welt nicht bestehen; sie würde sich auflösen, bevor irgendein komplexes Wesen entstehen könnte.
Die Wahrheit ist, dass das Gesetz, das unsere Welt regiert, nicht der „Gewinner bekommt alles“ ist, sondern das „Gesetz des Gleichgewichts“, der Homöostase. Jeder Wissenschaftler und Mediziner weiß, dass sich ohne Homöostase oder dynamisches Gleichgewicht nichts entwickeln würde. Doch solange wir nicht erkennen, dass unsere gegenwärtige Wahrnehmung fehlerhaft ist, werden wir nicht in der Lage sein, unsere Augen zu öffnen und die Wahrheit zu sehen.
Sobald wir erkennen, dass wir die einzigen egoistischen Wesen auf dem Planeten sind, beginnen wir uns zu verändern. Allmählich werden wir uns unserer gegenseitigen Abhängigkeit bewusst und lernen, entsprechend zu handeln. Was bei Tieren natürlich ist, gewinnen wir durch unsere Anstrengungen. Unsere Belohnung wird ein tieferes Verständnis und eine tiefere Wahrnehmung der Welt sein, als es irgendein anderes Wesen haben kann.
Erst wenn wir diese neue Wahrnehmung erlangen, werden wir erkennen, dass wir selbstsüchtig geschaffen wurden, um wahrzunehmen, wie die Welt wirklich funktioniert. Wären wir von Anfang an so geschaffen worden, wären wir unseren Instinkten gefolgt und hätten nicht gewusst, dass es mehr als eine Option für das Dasein gibt. Unser Egoismus ist unser Feind, aber es ist auch unser Antrieb für eine positive Veränderung. Je eher wir ihn zu diesem Zweck einsetzen, desto eher werden wir diese neue Erkenntnis gewinnen und die Wahrheit über unsere Welt entdecken – dass alles ausgeglichen, harmonisch und von Liebe erfüllt ist.