Wenn wir Naturkatastrophen beobachten, sind wir vielleicht in der Lage, bestimmte geologische und ökologische Faktoren zu verstehen, aber was steckt hinter diesen Faktoren? Mit anderen Worten: Was steckt hinter der Welt, die wir um uns herum wahrnehmen?
Wir könnten sagen: „die Naturgesetze“, aber das gibt keine vollständige Antwort.
Warum kommt es dann überhaupt zu Naturkatastrophen, und warum nehmen sie in letzter Zeit immer mehr zu?
Naturkatastrophen sind das Ergebnis eines Ungleichgewichts zwischen uns und der Natur. Die Welt und unser Universum sind zwar reich an unbelebter Materie und physikalischen Kräften, aber qualitativ gesehen ist die unbelebte Ebene der Existenz die niedrigste qualitative Ebene in der Natur. Die höchste qualitative Ebene ist die des Menschen.
Das Gleichgewicht oder Ungleichgewicht auf der menschlichen Ebene bestimmt unser Gleichgewicht oder Ungleichgewicht mit der Natur. Je mehr unsere Beziehungen ins Ungleichgewicht geraten – je mehr wir in unseren Beziehungen den eigenen Nutzen über den Nutzen anderer stellen, d.h. je egoistischer wir werden – desto mehr erleben wir Krisen wie Naturkatastrophen.
Wir leben in einem global vernetzten, voneinander abhängigen und geschlossenen System, in dem wir uns alle gegenseitig beeinflussen. Eines unserer Probleme besteht darin, dass wir das enorme Ausmaß unserer gegenseitigen Abhängigkeit nicht erkennen. Deshalb müssen wir zunächst unsere gegenseitige Abhängigkeit kennen lernen und auf der Grundlage eines zunehmenden Verständnisses und Gefühls für unsere gegenseitige Abhängigkeit damit beginnen, neue Verhaltensweisen unter uns zu etablieren: Gesetze der Zusammenarbeit, der Gegenseitigkeit und des gegenseitigen Entgegenkommens im weltweiten Maßstab. Solange wir uns nicht des Ausmaßes unserer gegenseitigen Abhängigkeit bewusst werden, wird es uns nicht gelingen, das erforderliche Gleichgewicht in unseren Beziehungen herzustellen, das uns mit der Natur in Einklang bringen würde. Wir können dann erwarten, dass Naturkatastrophen – zusammen mit verschiedenen anderen Krisen – weiter zunehmen, bis wir uns positiv verbinden.
Hillel der Ältere formulierte den ersten Schritt zur Einhaltung solcher Gesetze: „Was dir verhasst ist, sollst du deinem Nächsten nicht antun.“ Mit anderen Worten: Achte zumindest darauf, dass du anderen Menschen nicht schadest. Die Einhaltung dieser Bedingung ist ein erster Schritt, um die Gesetze der Zusammenarbeit und der Gegenseitigkeit zu verwirklichen. Diese Bedingung bringt uns zwar noch nicht ins Gleichgewicht miteinander und mit der Natur, aber sie beendet unsere Ausbeutung der anderen und der Natur für böse Zwecke.
So angenehm ein solcher Zustand auch klingen mag, so naiv ist es, zu glauben, dass wir ihn von vornherein einhalten können. Um einen solchen Zustand zu erreichen, brauchen wir eine neue Art von Erziehung, die sich in erster Linie darauf konzentriert, uns ins Gleichgewicht mit der Natur zu bringen. Wir müssen ein Gefühl für unsere globale Interdependenz entwickeln, und davon sind wir derzeit noch weit entfernt.
Je intensiver wir eine solche Erziehung durchlaufen, desto stärker werden wir ein Gefühl für unsere gegenseitige Abhängigkeit entwickeln – ein Gefühl, das uns dazu bringen sollte, Altruismus und Kooperation gegenüber Egoismus und Ausbeutung den Vorrang zu geben. Dann wären wir in der Lage, den unzähligen Formen der Ausbeutung, die es heute in unserer Welt gibt, abzuschwören. Das ist der erste Schritt: die Einsicht, dass der Schaden, den wir anderen zufügen, wie ein Bumerang auf uns zurückfällt und wir letztlich uns selbst schaden. Naturkatastrophen sind ein Beispiel für diese Art von indirektem Schaden, den wir uns gegenseitig zufügen, wenn wir es nicht schaffen, mit der Natur ins Gleichgewicht zu kommen.
Geschrieben/bearbeitet von Schülern des Kabbalisten Dr. Michael Laitman. Bild von NOAA auf Unsplash.