(Quelle: Huffpost.de) In vielfacher Hinsicht ist die Geschichte der Menschheit Ausdruck der Evolution menschlicher Verlangen. Als wir noch in Höhlen lebten, unterschieden wir uns im Grunde nicht wesentlich von einem Rudel Wölfe. Wir malten auf die Höhlenwände und hielten vermutlich Rituale ab, aber im Wesentlichen war alles was wir wollten unsere Selbsterhaltung und die unseres Clans.
Die Saat der Zivilisation war aber bereits gelegt. Die primitive Kunst und die Rituale zeigten an, dass der Mensch mehr als nur eine weitere Spezies in der Nahrungskette sein sollte. Unsere Sehnsüchte und Verlangen unterscheiden sich nicht nur von denen der Tiere, sondern entwickelten sich im Laufe der Geschichte auch weiter.
Je mehr unsere Verlangen wuchsen, desto mehr verbanden sie uns miteinander, hauptsächlich indem wir einander ausbeuteten. Als wir uns in Dörfern und Städten sesshaft machten, schufen wir auch soziale Strukturen und soziale Klassen. Anfänglich beuteten wir einander durch verschiedene Formen der Sklaverei aus. Als die Besteuerung rentabler wurde als die Sklaverei, verlegte sich die Menschheit auf den Feudalismus. Später, als die Massenproduktion die industrielle Revolution vorantrieb, begann der Kapitalismus.
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts nahm der Kapitalismus die hinterhältigste, die böseste Form der Ausbeutung an die es je gab: den Neoliberalismus. Diese neue Form der Ausbeutung manipulierte uns derart, dass wir mehr Stunden arbeiten als unsere versklavten Vorfahren, während sie uns glauben macht, dass wir frei sind, obwohl wir tatsächlich von einer kleinen Gruppe von Individuen, die die Fassade der Freiheit und der Demokratie aufrecht erhalten, ausgebeutet werden. Prof. Tan Chen legt detailliert dar, wie diese Elite sich „mittels Lobbyismus, Berechtigungsnachweisen und Lizenzierungen“ lediglich um ihre eigenen Interessen kümmert, während sie den „einfachen Arbeitern die Möglichkeit ebenso zu handeln“ verweigert.
Im Laufe der Jahre sind die menschlichen Verlangen so intensiv geworden, so dass wir bis ins Mark hinein selbstsüchtig geworden sind. Heute kann die Mehrheit der Menschen nicht einmal mehr die fundamentalsten Formen von Beziehungen aufrechterhalten – mit unseren Kindern und Lebensgefährten.
Schlimmer noch, sagt Prof. Tan Chen: „Wie viele bereits aufzeigt haben, drohen Fortschritte in der Entwicklung der künstlichen Intelligenz einen umfassenden Verlust von Arbeitsplätzen zu verursachen (sogar der gut Ausgebildeten) in nicht allzu ferner Zukunft. Ohne die fundamentalste soziale Einheit, die Familie, und eine verlässliche Einkommmensquelle, brauchen wir „eine umfangreiche Revision einer Kultur, die denjenigen, die um ihre Existenz kämpfen, das Gefühl vermittelt, Verlierer zu sein „, stellt er fest. In der Tat befinden wir uns, wie ich oben bereits erwähnte, mitten in einer unvermeidlichen und unumkehrbaren sozialen Revolution. Nun müssen wir bestimmen, ob sie sich eher in angenehmer und ruhiger Weise vollziehen wird oder schmerzhaft und gewalttätig sein wird, wie es bei Revolutionen häufig geschieht.
Die Menschheit mit Vernunft injizieren
Um die Gesellschaft von ihrem gegenwärtigen unhaltbaren und ausbeuterischen Modus operandi in ein ausbalancierteres und vertretbares Paradigma zu befördern reicht es aus, dass wir unsere eigene Geschichte betrachten- die Geschichte des jüdischen Volkes. Midrash Rabah, Maimonides, und viele andere Quellen berichten davon, dass Abraham der Patriarch herausfand, warum Menschen einander willentlich Schaden zufügen, während alle anderen Elemente der Natur in harmonischem Miteinander zusammenwirken. Abraham entdeckte, dass die menschliche Natur praktisch nichts Gutes in sich trägt, oder wie das Buch Genesis es ausdrückt: „Die Neigung des menschlichen Herzens ist von Grund auf böse.“ Es hat fast 40 Jahrhunderte gedauert, aber heute wissen wir, dass er recht hatte. Jedoch entdeckte Abraham auch das einzige Heilmittel für die negative, egoistische Kraft in unserer Gesellschaft. Er stellte fest, dass die Natur ihre Balance durch eine Gegenkraft, eine positive Kraft der Liebe und Einheit aufrechterhält, die der Menschheit fehlt. Deswegen bemühte sich Abraham diese Gegenkraft der Gesellschaft anzuerziehen. Aus diesem Grunde ist nach jüdischer Tradition die Eigenschaft, die Abraham am besten beschreibt die der Barmherzigkeit. Von Stadt zu Stadt und Dorf zu Dorf wanderten Abraham und seine Frau Sarah auf ihrem Weg nach Kanaan und lehrten, dass die Nächstenliebe und Freundlichkeit das Heilmittel für die Übel der menschlichen Natur sind.
Das Ego entwickelte sich über die Generationen hinweg, und die Lehre Abrahams wurde unzureichend. Abrahams Nachkommen übernahmen das Fundament seiner Lehre und glichen es entsprechend ihrer Zeit an. Auf diese Weise entwickelte sich die Methode der Umerziehung zu Liebe und Einheit unter den Menschen.
Schließlich wurde eine genaue Erziehungsmethode ersonnen. Als die alten Hebräer sie übernahmen und sie unter sich verwirklichten, verband diese Methode sie zu einer Nation. Ihr Motto: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, war das ultimative Ziel ihrer Erziehung, und den Gipfel der menschlichen Evolution bildete. Das Erreichen einer solchen Liebe bedeutete, dass man die negative Kraft des Egos mit der positiven Kraft der Liebe für die Anderen vollkommen ausgeglichen hat. Das ist der Grund, warum wir uns als Nation erst etablierten, nachdem wir uns einverstanden erklärt hatten, „wie ein Mensch mit einem Herzen“ zu sein.
Das Volk Israel erlebte Phasen der Trennung und des Hasses, und Phasen der Verbindung und Liebe. All dies war jedoch Teil unserer Entwicklung; wir brauchten ein wachsendes Ego als Ansporn, um unsere gegenseitige Liebe zu verstärken. Deswegen schrieb König Salomo (Sprüche 10:12): „Hass stiftet Hader, doch Liebe überbedeckt alle Verfehlungen.“ Die frühen Juden entdeckten eine grundlegende Wahrheit: Das Ego ist die treibende Kraft für unsere Entwicklung, wird uns aber töten, wenn wir es nicht mit Liebe bedecken.
Trotz unserer Erziehungsmethode von vor 2ooo Jahren wurden wir so egoistisch, dass wir unsere Selbstsucht nicht mehr mit Liebe bedecken konnten und wie der Rest der Welt wurden- selbstssüchtig bis ins Mark. Alles was uns übriggeblieben war, war die Erinnerung an unsere Einheit, tief begraben in unserem Inneren, und das Motto der Liebe zu den Anderen, das wir den Nationen hinterließen. Das Christentum interpretierte dieses Motto als „Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun sollen, das tut ihnen auch“ (Matthäus 7:12). Mohammed sagte es ähnlich: „Keiner von euch glaubt wahrhaftig, bevor er nicht für seinen Bruder wünscht, was er für sich selbst wünscht “ (Vierzig Hadith-Nawawi).
Wir hinterließen jedoch nur die Worte, ohne die Umsetzungsmethode – die Erziehungsmethode, die unseren Vorfahren half, sich über ihren Egos zu verbinden. Das führte zu dem Ergebnis, dass dieses Motto zu einem leeren Slogan wurde, von dem niemand glaubt, dass er umsetzbar ist. Nun müssen wir, bevor unser Ego die Welt ins Verderben stößt, diese positive Kraft, die Abraham nährte, unserer Nation und der Welt aufs Neue injizieren, um uns vor uns selbst zu retten. Nun ist es an der Zeit, die Erziehung wiederzubeleben, die einst unsere Einheit herbeiführte.
Lernen sich zu verbinden
Um unsere Werte überdenken zu können, müssen wir zunächst die Gesellschaft stabilisieren. Wie ich es bereits geschrieben habe, und wie viele anderen angemerkt haben, wird der erste Schritt in der Revolutionierung des Arbeitsmarktes bestehen, oder genauer gesagt in der Vernichtung von Jobs. In den kommenden Jahren werden autonome Maschinen Millionen von Menschen ersetzen. Diese Menschen werden es zunehmend schwieriger finden, neue Arbeit zu finden, da der gesamte Arbeitsmarkt diesem Wandel unterworfen sein wird. Roboter werden sowohl Arbeitsplätze in der Werkstattfertigung als auch im Bankwesen, in der Rechtshilfe und sogar in Supermärkten übernehmen. Dieser Prozess wird den Regierungen keine andere Wahl lassen, als die Menschen durch eine Art Grundeinkommen zu unterhalten. Einige Länder experimentieren bereits damit, und wir werden erleben, dass sehr viel mehr derartige Programme eingeführt werden, da immer mehr Menschen arbeitslos werden.
Eines unserer größten Probleme auf dem immer kleiner werdenden Arbeitsmarkt ist, dass unser Job bestimmt wer wir sind. Wie Prof.Tan Chen es in der oben zitierter Analyse zum Ausdruck bringt:“ Wenn andere Quellen der Bedeutungsfindung schwer zu finden sind, können diejenigen, die in der modernen Gesellschaft um ihre Existenz kämpfen und es schwer haben, das Selbstwertgefühl verlieren.“ Wenn Millionen von Menschen sich wertlos fühlen und jeder Hoffnung beraubt sind,wird Gewalt in großem Maßstab die unvermeidliche Folge sein. Sogar ein schlechter Job ist besser als gar kein Job, oder in der Worten des Wirtschaftsjournalisten Derek Thompson: „Das Paradoxe an der Arbeit ist, dass viele Leute ihren Job hassen, aber wesentlich schlechter dran sind, wenn sie nichts tun. Es zeigt sich, dass die Einführung eines Grundeinkommens für Arbeitslose nur die eine Hälfte der Heilung ist. Die andere Hälfte ist eine sinnerfüllte Beschäftigung, die die Arbeit als Quelle unseres Selbstwertgefühls ablösen würde. Dies ist der Punkt, an dem die Erziehung der alten Hebräer zur Verbindung ins Spiel kommt. Wenn die sozialen Bindungen der Menschen sinngebend und positiv sind, dann fühlen sie sich geschätzt und glücklich. Wenn Menschen lernen, sich miteinander zu verbinden, dann werden sie keinen langweiligen Job brauchen, um ihr Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten. Man denke nur einmal nach: wenn eine Maschine machen kann was ich mache, dann bin ich nicht besser als eine Maschine. Kann etwas für einen Menschen erniedrigender sein, als auf die Stufe eines Roboters degradiert zu werden und anschließend schickaniert und erniedrigt zu werden, weil man nicht wie eine Maschine funktionieren kann? Was wir wirklich tun sollten, und was Maschinen niemals fähig sein werden zu tun, ist, uns untereinander zu verbinden und einander mit Glück, wahrem Glück, das von Liebe und Freundschaft stammt, zu versorgen.
Im Kreis
Im Buch Likutey Halachot („Ausgewählte Regeln“) heißt es wie folgt: „Die Essenz der Vitalität, der Existenz, und die Korrektur in der Schöpfung werden erreicht, wenn Menschen mit unterschiedlichen Meinungen in Liebe, Einheit und Frieden verschmelzen.“ Wenn wir, wie ich oben dargelegt habe, das Ego in richtiger Weise benutzen, wird es zum Sprungbrett, das uns in neue Höhen tragen wird. Wenn wir uns bemühen, uns über unseren Unterschieden zu verbinden, setzen wir die positive Kraft, die Abraham entdeckte, in Kraft. Diese Kraft verbindet uns und erlaubt es uns, die Kraft wahrer menschlicher Verbindung zu fühlen. Genauso wie das Ego der Schlüssel zu unserem Erfolg ist, so ist es auch dessen Überwindung. In der ganzen Welt veranstalten meine Schüler, was sie selbst als “ Verbindungskreise “ bezeichnen. In diesen Kreisen lernen Fremde, Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und solche, die sich in aktiven Konfliken befinden, sich umeinander in einer Weise zu sorgen, wie sie es nie für möglich gehalten hätten. Die Idee des Kreises zeigt an, dass alle gleich sind. Wenn das so ist, dann beherrscht niemand den anderen, niemand drängt einem anderen seine Meinung auf und alle hören einander zu. Das Ziel des Kreises besteht darin, sich um eine Verbindung zu bemühen, nicht Erfolg zu haben, sondern eben nach einer Verbindung zu streben. Da die Egos der Teilnehmer deren Bemühungen untergraben, erwecken ihre Anstrengungen, sich über diese zu erheben die positive Kraft, welche Wärme und eine gegenseitige Zuneigung scheinbar aus dem Nichts erzeugt, wie dieses und dieses Video es demonstrieren (der zweite Clip ist auf Hebräisch, bitte darauf achten, dass die Untertitel eingeschaltet ist).
Die Mitglieder der Arvut (gegenseitige Bürgschaft) Bewegung haben Verbindungskreise und andere Methoden der Verbindung über dem Ego an zahlreichen Orten und unter unterschiedlichen Bedingungen durchgeführt. Das vorrangige Mittel bei dieser Form der Erziehung stellen Verbindungsübungen dar. Zwei Elemente sind für eine erfolgreiche Erziehung zur Verbindung notwendig: das Ego (von dem wir jede Menge besitzen) sowie das Verlangen, es zu überwinden.
Die Mishna (Masechet Avot) erzählt uns: „Mache seinen Wunsch zu deinem Wunsch, auf dass er deinen Wunsch zu seinem Wunsch mache.“ Das ist der ultimative Ausdruck von Verbindung, wenn wir uns so sehr um eine andere Person sorgen, dass das, was sie möchte, wichtiger für uns wird als unser eigenes Verlangen. Man denke da an eine Mutter, die ihr Baby versorgt. Was immer das Baby will, wird für sie über ihren eigenen Wünschen stehen. Wenn wir uns bemühen, uns einander gegenüber so zu verhalten, werden wir so viel von der positiven Kraft an uns ziehen, dass sie unsere Gesellschaft von Grund auf verändern wird.
Der menschliche Beruf
Unsere Beschäftigung mit dieser Art von Verbindung wird unsere Zukunft sichern. Zunächst ist es die einzige Beschäftigung, der nachzugehen Maschinen niemals imstande sein werden. Zweitens verlagert sie unsere Werte als Menschen stärker auf unsere Verbindungen als auf unsere Berufe und Besitztümer.
Menschen, die in die Verbindung investieren, investieren nicht in Korruption. Als Folge davon werden soziale Spannungen nachlassen, und Gewalt, Depression und Drogenmissbrauch werden überflüssig werden, da es keine Frustration mehr geben wird, der man Luft machen müsste.
Außerdem wird die Menschheit viele „professionelle Verbinder“ brauchen. Wenn man bedenkt, dass jeder Kreis etwa zehn Personen und einen Moderator umfasst, werden viele Menschen als Ausbildende in dieser neuen Erziehung tätig sein. Da alle ein Grundeinkommen erhalten werden, werden Menschen eher nach ihrem Beitrag für die Gesellschaft als nach ihrem Reichtum beurteilt werden. Im Ergebnis werden Ausbildende von Verbindungskreisen ein hohes soziales Ansehen genießen, was diesen neuen Job zu einer begehrten Position machen wird.
In der Tat – ein Wandel findet statt. Die Menschheit hat die Endstufe ihrer Evolution erreicht- das Zusammenfließen von Verlangen in eine vereinte Einheit. Je eher wir damit beginnen uns zu verbinden, desto besser werden wir uns fühlen. Der soziale Niedergang und die unvermeidliche Arbeitslosigkeit weisen darauf hin, dass wir unsere Werte in dieser Welt überdenken müssen und aufs Neue lernen müssen, was es heißt, ein menschliches Wesen zu sein, und nicht ein Roboter, der eine Maschine betätigt. Ich bin davon überzeugt, dass wenn wir den ersten Schritt in Richtung Selbsterziehung zu Verbindung machen, wie unsere Vorfahren es taten, wir dankbar sein werden, dass wir ihn vollzogen haben.