S. Vinokur: Es wird viel über den Begriff Hölle geschrieben. Was ist die wahre Hölle und wo befindet sie sich?
Die Südkoreaner arbeiten ständig. Mit großer Effizienz. Es ist eine Schande, seine tägliche Quote nicht zu erfüllen, eine Schande, krank zu sein, eine Schande, nichts zu tun. Das treibt sie in Depressionen, Nervenzusammenbrüche und Selbstmord.
Also hatten sie eine Idee. Sie nennen es: „das Gefängnis in mir“. Ungefähr 90 Kilometer von Seoul entfernt gibt es ein Gefängnisgebäude, zu dem sie hingehen. Dort herrschen Gefängnisbedingungen: Man kommt in eine Zelle, bekommt Stift und Papier und eine Yogamatte. Man sitzt, arbeitet nicht, sondern denkt nach. Es scheint, dass der Mensch auf seiner Suche nach Freiheit im Gefängnis fündig wird.
M. Laitman: Die Freiheit ist im Gefängnis. Wenn man sich nicht zwingt, der ganzen Welt hinterherzulaufen, hat man körperliche Freiheit.
Es ist ein sehr interessanter Zustand: Man schließt sich in ein Zimmer ein, bekommt zwei- oder dreimal am Tag eine Suppe und sonst nichts. Es gibt keine Bücher, weder Radio noch Fernsehen oder sonstiges. Man ist allein. Man schaut, wie lange man mit seinen Gedanken und Plänen auf diese Weise existieren kann. Das ist gut.
S. Vinokur: Woran soll der Mensch in einem solchen Zustand denken?
M. Laitman: Wofür lebe ich? Warum gibt es mich? Was geschieht mit mir? Wer bestimmt mein Schicksal? Was habe ich mit meinem Leben gemacht? Wie wird es enden? Was kommt danach? Was hinterlasse ich meinen Nachkommen?
Bevor ein Mensch stirbt, wird ein besonderes Gebet gesprochen – das so genannte „veduj“. Wenn er sein Leben sehr ernsthaft durchgeht und prüft, was er etwas getan hat und was nicht… Er schreibt es einerseits dem Schöpfer zu, andererseits sich selbst. Im Allgemeinen bereitet er sich auf eine ernsthafte Konfrontation mit dem Richter vor.
Wenn ihm dort sein früheres Leben gezeigt wird, sieht er, dass er tatsächlich auf das Wissen über den Schöpfer und die Natur gleichsam gestoßen wurde, damit er deren Gültigkeit erkennt.
S. Vinokur: Und er ist diesen Weg nicht gegangen.
M. Laitman: Und er…ja, er wählte die andere Seite.
S. Vinokur: Normalerweise rechtfertigt der Mensch sein Leben. Normalerweise sagt er: „Ich habe mein Leben glücklich gelebt“.
M. Laitman: Das ist nicht von Dauer. Jeder, der vor Gericht steht, glaubt, dass er sich rechtfertigen wird. Das ist immer so, denn jeder Mensch ist sich selbst am nächsten. Aber in Wirklichkeit hat der Mensch keinerlei (!) Möglichkeit, sich zu rechtfertigen.
Und wer sich für gerecht hält, wird mit einer so unglaublichen Anschuldigung konfrontiert, dass es einfach unvorstellbar ist.
Eine andere Sache ist, dass wir eine falsche Vorstellung von Belohnung, Bestrafung, Anklage und Ermutigung haben. Wir stellen uns diese Dinge falsch vor. Wenn ein Mensch sein ganzes Leben vor sich sieht… Zeit ist nicht notwendig, dies ist bereits eine spirituelle Dimension. Wenn er nicht sieht und versteht, was er getan hat, sondern was er gedacht hat, dann ist das, mein Freund, … das ist das Fegefeuer. Wirklich, ernsthaft. Dies ist die wahre Hölle. Es ist ein solches Bedauern, eine solche Reue! Nicht um der Vergangenheit willen, sondern um sich zu bessern und in die Zukunft zu blicken.
Nun, danach sagt man zu dir: „Also, mein Freund, sollen wir das Ganze wiederholen? Wähl aber jetzt nur solche Bedingungen, die dich wirklich voranbringen“. Und der Mensch taucht- in einem Augenblick- wieder ins Leben ein. Im selben Moment vergisst er alles, was ihm widerfahren ist, und das Hamsterrad beginnt sich von neuem zu drehen.
S. Vinokur: Sehen Sie, wir haben mit einem Gefängnis in Seoul angefangen und sind jetzt bei unserem inneren Gefängnis gelandet. Können Sie mir den Grund nennen? Warum vergisst der Mensch alles? Warum setzt er diese erhabenen Überlegungen nicht fort?
M. Laitman: Um frei handeln zu können. Auf eine unabhängige Art und Weise.
Aus dem TV Programm „Nachrichten mit Dr. Michael Laitman“